Klassik.com
Rasender Reporter
Interpretation:

Klangqualität:
Oliver Schulz von Klassik.com schrieb Folgendes zu der CD "Interview with Beethoven" von Vestard Shimkus:
"Der junge Pianist Vestard Shimkus versucht sich bei seinem CD-Debüt mit Beethoven-Sonaten. Sein Spiel entfaltet eine sehr belebende Wirkung auf scheinbar abgegrastem Terrain.
Der eigene, persönliche Zugriff ist nicht zu verachten, wenn man als CD-Debütant, jedenfalls im Bereich der klassischen Musik, mit den Beethoven-Sonaten gut fahren möchte: Ausgetretene Pfade sind immer riskant, wenn man sie nicht mit Überzeugung zu begehen vermag. Im Falle des jungen estnischen Pianisten Vestard Shimkus besteht dabei nicht die geringste Gefahr. Er spielt die Sonaten op. 2, Nr. 3 und op. 106 mit großem Elan, gepaart mit einem äußerst glücklichen und sehr gereiften musikalischen Weitblick.
Der erste Satz der Sonate op. 2, Nr. 3 fasziniert von der ersten Phrase an: Shimkus greift das leichtgewichtige Thema mit einer Mischung aus virtuosem Bravado und feinsinnigem Klanggefühl an. Es huscht schnell vorüber, und trotzdem ist musikalisch alles gesagt. Was Shimkus‘ Spiel hier auszeichnet, ist die Kunst der Abgrenzung und die geschickte, dem Klang nachhorchende Pausensetzung. Sein gewähltes Tempo rangiert in Bereichen von bewegt bis überschwänglich, doch seine geschickte Phrasierung sorgt dafür, dass das Gefühl von Atemlosigkeit nie aufkommt. Diese besondere Qualität ist auch in den folgenden Sätzen zu finden, so etwa im dritten, über den sich im Wesentlichen dasselbe sagen lässt wie über den ersten. Der zweite Satz hingegen ist als Ruhepunkt der Sonate – ein Spielfeld für ganz andere Qualitäten von Shimkus‘ Spiel. Hier lässt er sich Zeit und spielt jede Note aus. Sein wuchtiges Spiel der Basslinie lässt einen Hauch von theatralischer Geste erkennen, der an ein ausgefeiltes Klangdenken gekoppelt ist, in dem jede Ausdrucksnuance zu ihrem vollen Recht kommen kann. Shimkus scheint im Moment zu leben und lässt sich von seinem noch altersgemäß jugendlichen Elan tragen, wobei er im vierten Satz dann doch ein bisschen über die Stränge schlägt. Doch man darf über die stupende Fingerfertigkeit des Interpreten staunen. Nimmt man all diese Gründe zusammen und betont noch einmal die schiere Lebhaftigkeit der Interpretation, so ist diese nach Ansicht des Rezensenten sehr hörenswert.
Das Staunen kann man als Hörer in die sogenannte ‚Hammerklaviersonate‘ mit hinübernehmen. Shimkus streift die monumentale Aura des Werkes gekonnt ab und wählt gerade im letzten Satz Tempi, die selbst im Vergleich zur rasanten Interpretation der vorangehenden Sonate noch als halsbrecherisch hervorstechen. Musikalisch gesehen gibt es auch hier wieder Ohrenöffnendes: Die Anlage jeder Satzinterpretation wirkt schlicht und einfach durchdacht und trotzdem immer unmittelbar, wie aus dem Augenblick entstanden, als logische Folge der gerade verklungenen Töne. Unter den vier Sätzen kann man alle hervorheben, aber hier soll der dritte genügen: sehr ruhig, mit viel Luft zum Atmen trotz seiner schier endlosen Ausdehnung und mit einer höchst lebendigen Agogik. Shimkus spielt Beethoven mit einer Spielfreude, die dessen Musik wieder zeitgenössisch macht – ein hoher Verdienst.
Einziger Wermutstropfen dieses gelungenen Einstands eines bereits gereiften jungen Musikers ist dessen Eigenkomposition namens 'EU Variations', ein kurzes Encore im Stile eines Vladimir Horowitz. Die 'Carmen-Variationen' von letzterem etwa konnte man bewundern, weil sie voller ideenreicher kontrapunktischer Verwebungen waren und man zwischendrin die schillernden Notenkaskaden, das Spielzeug des Virtuosen, als ausgleichenden Gegenpol hatte. Leider spürt man bei Shimkus nur die glitzernde Oberfläche. Seine Variationen fangen zwar einige wenige nationale Musiksprachen Europas gekonnt ein; dafür wird ihre Vielfalt aber von deren Klischeelastigkeit etwas verwässert. Charme kann man dem Werk aber besonders zum Ende hin nicht absprechen.
Die CD im Ganzen ist sehr gelungen, auch weil sie mit einem gelungenen Booklet aufwarten kann, in dem man zahlreiche vielsagende Fotos von Shimkus findet: leger gekleidet, demonstrativ tatkräftig mit aufgerollten Hemdsärmeln. In diesem Fall gehen Bild und musikalische Persönlichkeit ausnahmsweise einmal gut zusammen."